Spielzeugfreier Kindergarten

Spielzeugfrei

Ein ABC aus dem Chindsgi

Ein pro­jekt zur Sucht­präven­tion – Auf­bau von Leben­skom­pe­ten­zen zum Schutz vor späterem Suchtver­hal­ten

Der Kinder­garte­nall­t­ag ohne vorge­fer­tigte Spiel­sachen und ohne Ange­bote von Erwach­se­nen

Freiraum für Eigenini­tia­tive und Kreativ­ität

März und April 2024

A wie Aus­ge­lassen sein

Wieder­holt fällt eine Gruppe von Kindern über das weiche Leseso­fa her. Dieses wird immer wieder hin und her gekippt. Die Bewe­gun­gen sind begleit­et von fröh­lichem Gejauchze. Als Kinder­garten­lehrper­son frage ich mich, ob ich wegen der Laut­stärke ein­greifen muss. Nein, denke ich mir. Viel zu häu­fig über­stülpen wir den Kindern unsere Vorstel­lun­gen vom Sein im Chinds­gi und wie Spiel auszuse­hen hat.

B wie Bon Apétit

Lau­rin beigt vier Sand­säcke aufeinan­der, patscht auf sie und bietet eines an Jere­my weit­er. Laut und deut­lich wün­scht Lau­rin: „Bon Appétit“. Was es wohl zu essen gibt? Ein anderes Mal rollt Sev­erin zwei Tüch­lein sorgfältig zu Hot Dogs zusam­men.

C wie „Chillen“

Auf den Tis­chen sind Stüh­le zu einem Flugzeug ange­ord­net. Samt Cock­pit und Pilot ist alles vorhan­den. Anto­nia streckt sich auf einem der Sitze: „Ich chills Frau Häfliger“, meint sie.

D wie Diskus­sion auf dem Blauen Stuhl

Diskus­sion­spunk­te wie die Aufteilung der Sand­säcke, und ob aus diesen neb­st Piz­za auch ein anderes Nahrungsmit­tel hergestellt wer­den kann, oder ob im Chinds­gi die Laut­stärke zu extrem ist, ste­hen in der Runde um den Blauen Stuhl an. Jedes Kind kann das Wort ergreifen, die Runde zusam­men­läuten und seine Anliegen vor­brin­gen. Geübt wird einen Wun­sch an die anderen zu richt­en und eigen­ständig in der Gruppe Lösun­gen zu erar­beit­en. Die Runde wird been­det von dem­jeni­gen Kind, welch­es auf dem blauen Stuhl sitzt: „Danke fürs Zuhören, ich bin fer­tig.“ Als Kinder­garten­lehrper­so­n­en staunen wir über das Ver­mö­gen der Kinder.

 

 

E wie Ent­deck­un­gen

Etwas so Sim­ples wie das Klet­tern auf Möbel wirkt motivierend auf die Kinder. Anto­nia hat sich in der Ver­tiefung eines Gestelles ver­graben, Tatiana wieder­holt den Auf­stieg auf und das Hüpfen von Gestell zu Gestell. Ein auf die Seite gelegter Tisch ermöglicht einen neuen Raum, der ent­deckt und genützt wer­den will.

F wie Förderung der Fan­tasie

Flugzeug, Schlittschuh­bahn, Piz­zarestau­rant, Mark­t­stand, Polizeire­vi­er, das Klet­tern über Hür­den, das Bauen von Hüt­ten… die Ideen der Kinder sind vielfältig, über­raschend und wer­den autonom umge­set­zt. Was will man mehr?

G wie Gestal­ten

Tatiana ruft mich und möchte mir etwas zeigen. Das Mäd­chen hat die Stüh­le zum Kreis ein­er Blüte und zum Strich eines Stän­gels zusam­menge­fügt. Sie erk­lärt mir, eine Blume gestal­tet zu haben. Worauf die Kinder nicht alles kom­men, wenn sog­ar Zeich­nungss­tifte fehlen.

H wie Hochzeit feiern

Über den Rasen huscht ein Kind in vollem Gewand, begleit­et von zwei Brautjungfern. Der Imam, Priester oder Pfar­rer war auch schon tätig. O‑Ton im Kinder­garten: „Weisst Du, wie Du das machen musst?“ Damit ist das „Trauen“ des Paares gemeint.

I wie die Indi­viduen kom­men voll zum Zug

Die Per­sön­lichkeit der Kinder kommt zum Aus­druck und zum Tra­gen. Als Lehrper­so­n­en staunen wir über Alessan­dro, der zuhause Raumpläne samt Tis­chanord­nung und Piz­za-Aus­gabe für das Restau­rant zeich­net. Wir freuen uns über Tatiana, die ver­mehrt redet und sich glück­lich ins Gestal­ten hinein­gibt und sind dankbar für alle Kom­mu­nika­tions­fähigkeit­en, die im Kreis des Blauen Stuhls erar­beit­et wur­den.

 

 

J von Jägern und Jet­pi­loten

Ob beim Hal­ten und Spie­len von Raubkatzen oder der Beruf­sausübung des Piloten, der Spielzeugfreie Kinder­garten bietet unendlich viele Möglichkeit­en des Rol­len­spiels.

K wie die Kinder­garten­lehrper­son ist nicht wegzu­denken

Um die Struk­turen des Blauen Stuhls zu erar­beit­en, der Schutz vor sehr leichtsin­nigem Klet­tern auf den Möbeln und gele­gentlich­es Ein­greifen, wenn die Diskus­sio­nen ausufern. Die Kinder­garten­lehrper­son ist nicht wegzu­denken.

L wie Lavabo­den

Zwei Mäd­chen hüpfen von Tisch zu Tisch, stellen sich mit viel Wehrufen tot und beleben einan­der wieder. Die Kinder­garten­lehrper­son fragt: „Was spielt Ihr da eigentlich?“ Die ein­stim­mige Antwort: „Lavabo­den!“

M wie Med­i­ta­tion und Mate­ri­alerkun­dung

Anna und Lina haben sich in eine ruhige Ecke zurück­ge­zo­gen. Anna hat ein leicht­es Tuch über einen Reif gelegt und bewegt diesen rauf und runter. Das Tuch erzeugt Wind, unter dem Lina auf den Boden ein­schauend medi­tiert.

N wie Noti­zen anle­gen

Die Kinder spie­len vielfältig- manche Lern­mo­mente sind in Sekun­den vor­bei. Das Wie des Noti­zenan­le­gens von Beobach­tun­gen ist für die Kinder­garten-lehrper­son mit Hür­den ver­bun­den. Zum Beispiel habe ich einen Frage­bo­gen im Vor­feld angelegt, den ich bere­its kom­plett „chüblen“ kon­nte in der ersten Woche. Offen­heit ist wohl die beste Strate­gie für uns Päd­a­gogen im Spielzeugfreien Kinder­garten.

O wie Opti­maler Ein­stieg in 1. Klasse

Die Förderung der Selb­st­ständigkeit ist beobacht­bar; im Erken­nen der Kinder von Bedürfnis­sen sowie von Absicht­en als auch in der Kom­mu­nika­tion. Eben­so müssen die Kinder unab­d­ing­bar ler­nen damit umzuge­hen, wenn das Gegenüber nicht kooperiert.

P wie Putzen des Polizeire­viers

Lean­dro holt den Besen und reinigt mit klaren Zügen den Boden vor der „Hütte“. Auf die Frage, was er den hier genau mache, meint er: „Ich muss vor dem Polizei­haus putzen.“

Q wie Qon­flik­te qon­struk­tiv lösen

Neb­st dem Blauen Stuhl etabliert sich in den Wochen des Spielzeugfreien Kinder­gartens auch der Lösung­step­pich. Dieser wird geholt, wenn soziale Schwierigkeit­en auss­chließlich zwis­chen zwei Kindern entste­hen. Mit­tels Pik­togramme auf dem Tep­pich kön­nen die bei­den Gegenüber nun selb­st­ständig in drei Schrit­ten die Dis­so­nanzen über­winden; das Prob­lem benen­nen, einen Wun­sch äußern und zulet­zt eine gemein­same Lösung find­en. Verblüfft war ich als Kinder­garten­lehrper­son, als ein­mal in der Pause draußen zwei Mäd­chen den Tep­pich im Klassen­z­im­mer holten und ihn mit Selb­stver­ständlichkeit auf dem Rasen aus­bre­it­eten. Funk­tion­ierende Struk­turen und Selb­st­ständigkeit pur.

R wie Rol­lenaufteilung und Regeln

Aus Sätzen wie: „Spielst du die Katze?“, „Nein, ein Baby kann nicht reden!“, „Wie schreiben wir das Haus an?“ hört man Absprachen und Rol­len­zuteilun­gen her­aus. Ganz natür­lich entwick­elt sich so Organ­i­sa­tion­stal­ent.

Sorge tra­gen zu mir, zu meinen Gspändli und zum Mate­r­i­al. Ohne Regeln gelingt ein Zusam­men­leben auch im Spielzeugfreien Kinder­garten nicht. Regeln ergeben sich aus den gemein­samen Diskus­sio­nen der Kinder, welche vom Raum und den entste­hen­den Bedürfnis­sen der Kinder geleit­et sind. Als Unter­rich­t­ende denke ich: „Natür­liche Kon­se­quen­zen par excel­lence“.

S wie Sucht­präven­tion Bezirk Bülach

Dieses Pro­jekt wird begleit­et von der Sucht­präven­tion des Bezirks. Für die wertvolle Ein­führung und Begleitung, das „Know how“ bedanken wir uns von Seite Schule her­zlich.

 

T wie das Tra­gen voneinan­der

Im Kinder­garten kom­men Spiele zum Tra­gen, wie zum Beispiel; mehrere Kinder tra­gen ein Kind zusam­men oder ein Kind springt ein anderes an, umschlingt es und danach wird es vom anderen getra­gen. Die Sym­bo­l­ik dieser Spiele ist beze­ich­nend. Ohne einan­der zu er(tragen) geht es nicht im Leben.

U wie einen Unfall bauen und Spass haben dabei

Eine Gruppe mehrerer Kinder fährt gemein­sam in einem Stuhlge­bilde von A nach B. Tim set­zt sich ans Steuer. Livia fragt: „Wie fährst Du dieses Mal?“ Der Chauf­feur meint: „Ganz langsam auf die Mauer zu.“ Es wird gebrummt und mit Kara­cho in die Mauer gefahren. Das Stuhlge­bilde fällt auseinan­der, mit lautem Krachen und von Qui­etschgeräuschen begleit­et fall­en die Kinder lachend auf den Boden und wieder­holen dann die Szener­ie erneut. Ob dieses Spie­len wohl Traumapräven­tion ist?

V wie Ver­steck­is und Vor- und Nach­machen

Klas­sik­er des Kinder­spiels wie „Ver­steck­is“ wer­den eben­so umge­set­zt wie die Basis des Ler­nens; das Vor- und Nach­machen. Zum Beispiel dann, wenn die Kinder das Hula Hop mit dem Reif üben. Als Päd­a­gogis­ch­er „Oldie“ füh­le ich mich in die Sev­en­ties mein­er Kind­heit ver­set­zt.

W wie Wün­sche for­mulieren

„Ich wün­sche mir, dass es leis­er ist“, „Ich wün­sche mir, dass ich mit­spie­len darf“, „Ich wün­sche mir, dass jemand in meinen Piz­za­laden kommt“, „Ich wün­sche mir, dass Jakob nicht alle Sand­säcke ‚klaut‘!“, „Ich wün­sche mir, dass Gian nicht die Hütte kaputt macht!“ … solche und noch mehr Beispiele der Gewalt­freien Kom­mu­nika­tion wer­den gelebte Real­ität im Kinder­garten.

X wie „Xund­heits­förderig“

Bewe­gung als grundle­gen­der Pfeil­er der Gesund­heits­förderung wächst im Pro­jekt expo­nen­tiell an. Sei es, wenn stun­den­lang mit dem Fuss­ball gespielt, geduldig der Hula Hop erprobt oder mit Geschick­lichkeit über die Möbel gek­let­tert wird. Aus­dauer, Bal­ance und Kön­nen wer­den im Spielzeugfreien Kinder­garten defin­i­tiv umge­set­zt. Anmerkung: Im Pro­jekt unseres Spielzeugfreien Kinder­gartens war der Ball für uns Päd­a­gogen nicht wegzu­denken.

Y wie Young­sters

Unsere Young­sters haben viel gel­ernt in dieser Phase. Uns Päd­a­gogen hat es Mut gekostet ins unbekan­nte Gewäss­er des Pro­jek­ts zu starten. Es hat sich defin­i­tiv gelohnt.

Z wie Znüni essen

Und last but not least, auch im Spielzeugfreien Kinder­garten wird Znüni gegessen. Ganz dem Mot­to entsprechend, dass die Kinder auf ihre Bedürfnisse acht­en sollen, dür­fen sie frei entschei­den wann und wo. Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder auf, wie die Über­sicht haben kön­nen, wenn der Znüni auf dem ober­sten Gestell ein­genom­men wird oder drei Kinder wie Hüh­n­er auf dem „Stän­geli“ in den Fäch­ern der Bücherk­iste sitzend, den Znüni schmausend. Zwei Mäd­chen haben sich mit Tisch und Tuch ein­mal ein wun­der­schönes Gedeck gestal­tet. Zum Abschluss dieses Berichts denke ich: „Life is beau­ti­ful! Und der Spielzeugfreie Kinder­garten ein her­vor­ra­gen­der Katalysator dafür.“

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100 Tage-Fest

Drei Berichte von 5.Klässlern, die den 100.Schultag ihrer Göt­tik­lasse gefeiert haben.

Bienenstock erleben

Kinder erzählen von ihren Erleb­nis­sen mit dem Bienen­stock und benen­nen, was sie alles gel­ernt haben.

Clean-Up-Day 2023

Auch dieses Jahr hat das Schul­haus Lin­den­hof wieder mit­gemacht. Mitar­bei­t­ende der IGSU haben uns begleit­et.